Wie ein Bandscheibenvorfall mich stärker machte ...

Da lag ich nun – mit meinen 36 Jahren – auf dem Fußboden mit heruntergelassener Hose. Ein unbeschreiblicher Schmerz zog sich vom unteren Rücken bis in die linke Wade. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Nicht einen Millimeter. Ich hatte einen Bandscheibenvorfall.
Was war passiert?
Wie jeden Sonntagmorgen wollte ich mit meinem damals 2-jährigen Sohn zum Kinderschwimmen. Ich wollte ihn nur kurz zur Seite heben. Jetzt musste er mit ansehen wie sein Vater auf dem Boden lag und vor Schmerz heulte.
Seit einigen Wochen hatte ich Rückenschmerzen. Die kürzlich erstellte Kernspintomographie machte es sichtbar: ich hatte einen leichten Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule (LWS L4/5) „Nicht so schlimm – mit Physiotherapie bekommt man das in den Griff “ sagte der freundliche Radiologe in der Nachbesprechung.
Tja, und nun lag ich da, wie ein Häufchen Elend. Also landete ich an diesem Sonntagmorgen nicht mit Badehose im Schwimmbad, sondern mit Hose auf den Knöcheln in der Notaufnahme und bettelte nach Schmerzmitteln.
Die folgenden Tage und Wochen waren kein Spaß. Der leichte Bandscheibenvorfall war zu einem schweren geworden. Die Muskeln des linken Beins waren teilweise gelähmt. Nach einigen Schritten schmerzte das gesamte Bein. Die ersten Tage konnte ich nur mit Gehhilfe einige Meter überwinden. Das Gefühl, plötzlich auf Hilfe angewiesen zu sein und nicht normal gehen zu können, war schrecklich. Die Äußerungen eines jungen Neurochirurgen machten die Sache nicht einfacher.
Achtung O-Ton:
- „Sie werden nie wieder Sport machen können“
- „Wir können Ihnen eine künstliche Bandscheibe einbauen“
- „Würden Sie lieber von vorne oder hinten operiert werden“
- „Überlegen Sie nicht zu lange, sonst nimmt der Nerv zu großen Schaden“
Hä? Bitte was? Kein Sport mehr? Und überhaupt … War das jetzt ein Verkaufsgespräch oder eine ärztliche Beratung?
Ich entschied mich, noch exakt 8 Wochen abzuwarten, um zu sehen wie sich die Sache entwickelt. 8 Wochen war die Deadline für den eingeklemmten Nerv im Rücken. Danach würde es immer schwieriger werden, ihn ins Leben zurückzuholen.
Ich fing also an, mir die Langeweile im Krankenhaus mit Training zu vertreiben.
Erst ging ich einige Meter mit Gehhilfe. Nach und nach schaffte ich längere Strecken in den Gängen des Krankenhauses – bald auch ohne Rollator. Und als ich schließlich eine Stationsrunde schaffte, setzte ich mir ein neues Ziel: Treppensteigen. So schaffte ich es nach ca. einer Woche aufrecht gehend, ohne Unterstützung aus dem Krankenhaus.
Die folgenden 8 Wochen trainierte ich weiter und machte fleißig Rückenübungen. Ich lernte, wie man die tiefe Bauchmuskulatur aktiviert und als Rumpfstabilisator nutzt. Offensichtlich hatte ich diese „geheimen“ Muskeln bisher sträflich vernachlässigt. Es ging von Woche zu Woche besser. Die Schmerzen wurden weniger und ich konnte immer längere Strecken gehen, ohne mich zwischenzeitlich setzen zu müssen. Allerdings war es weiterhin unmöglich, mit dem linken Bein auf einen kleinen Hocker zu steigen. Es schien so, als wäre die Oberschenkelmuskulatur einfach nicht da. Meine Frau versuchte mir Mut zu machen und meinte, das wäre nur ’ne Kopfsache. Aber das war es nicht. Es ging einfach nicht. So sehr ich mich auch bemühte – die Kraft im linken Bein fehlte einfach. Das war frustrierend, denn die 8 Wochen waren um.
Ich wusste, dass jetzt eine Operation nötig wäre. In der Zwischenzeit hatte ich mich natürlich schon umfassend über Operationsmöglichkeiten informiert und einige weitere Meinungen von Spezialisten eingeholt. Es war zum Glück nicht notwendig, die komplette Bandscheibe durch eine künstliche zu ersetzen. Ein kleine, minimal-invasive Operation reichte aus. Dabei wurde nur das ausgetretene, kirschkerngroße Bandscheibenmaterial, das auf den Nerv drückte, entfernt. Die kaputte Bandscheibe wurde zusätzlich quasi zugeschweißt, sagte man mir.
Es war unglaublich, wie schnell die Kraft danach wieder zurückkam. Heute, mache ich einbeinige Kniebeugen (Pistols) auch mit dem linken Bein.
Bandscheibenvorfall Ursachen
Ich habe mich natürlich immer gefragt, was die Ursache für diesen Bandscheibenvorfall war. Schließlich ging ich regelmäßig ins Fitnessstudio und lebte nach meinem Empfinden gesund. Anscheinend war dem aber nicht so.
Was lief also falsch?
Bis heute gibt es keine eindeutige Ursache. Wahrscheinlich war es ein Mix aus vielen Umständen:
Zu wenig Bewegung
Ich ging 2 – 3 mal pro Woche zum Fitnesstraining, saß aber 8 Stunden am Tag vor dem Rechner. Ich dachte, mein Krafttraining würde ausreichen, um Rückenschmerzen vorzubeugen. Wenn man aber für lange Zeit ohne Unterbrechung auf dem Bürostuhl hockt, verkümmert die stabilisierende Rumpfmuskulatur. Dadurch wird die Wirbelsäule mit den Bandscheiben stärker belastet. Hinzu kommt, dass die Bandscheiben nur durch Be- und Entlastung mit Nährstoffen versorgt werden. Das funktioniert wie bei einem Schwamm: bei Belastung werden die Bandscheiben „ausgepresst“ und können bei Entlastung Nährstoffe aufsaugen. Durch langes Sitzen verkümmert also nicht nur die Muskulatur, sondern auch die Bandscheiben. Die ganze Struktur wird schwächer und brüchiger.
Einseitiges Training
Wie gesagt, ich trainierte regelmäßig. Ich war aber einer von denen, die sich gern an die Trainings-Maschinen setzten. Und ich machte mir auch wenig Gedanken um die Balance der Muskelgruppen oder um einen stabilen Rumpf. Tat ja auch nicht Not, denn die Maschinen gaben ja Halt. Ich trainierte nach einem Standard-Trainingsplan, um gut auszusehen.
Heute trainiere ich anders. Im Fokus stehen funktionales Krafttraining und ganzheitliche Fitness. Ich trainiere hauptsächlich mit eigenem Körpergewicht und freien Gewichten.
Zu meinen Grundübungen gehören:
- Kreuzheben
- Kniebeugen
- Klimmzüge
- Liegestütz
- Dips
- Diverse Rumpf- und Koordinationsübungen
Mangelhafte Ernährung
Ich habe schon immer auf meine Ernährung geachtet. Ich wusste, dass zu viel Süßes nicht gut ist und man Vitamine braucht, um gesund zu bleiben.
Das war’s dann aber auch schon. Mir war zum Beispiel nicht bewusst, wie wichtig genügend Wasser für die Bandscheiben ist. Ohne Wasser ist die Nährstoffversorgung nicht gegeben.
Auch Mineralien, Spurenelemente, Proteine und Fettsäuren sind enorm wichtig für die Funktion des gesamten Körpers.
Heute versuche ich den Bedarf aller Nährstoffe so gut es geht abzudecken und ich habe immer eine Trinkflasche mit frischem Wasser dabei.
Psychische Umstände
Stress, Depressionen oder Unglück allgemein, können die Wirbelsäule belasten.
In Stresssituationen neigt die Rückenmuskulatur dazu zu verkrampfen. Man läuft angespannt und ängstlich durch die Gegend. Wie in Urzeiten werden Stresshormone ausgeschüttet, die für eine ständige Anspannung der Muskulatur sorgen. Immer auf der Hut vor dem nächsten Säbelzahntiger und bereit zur Flucht.
Die Folge: Gelenke, Wirbel und Bandscheiben werden durch die dauerhafte Anspannung der Muskeln ungünstig belastet.
Was du daraus lernen kannst …
Lass es erst gar nicht soweit kommen. Ein Bandscheibenvorfall ist kein Spaß! Auch wenn du noch keine Beschwerden hast, solltest du auf immer auf deinen Rücken achten:
- Ernähre dich gesund: Trinke viel Wasser, versorge dich mit allen wichtigen Nährstoffen.
- Bewege dich viel: Wenn du einen Bürojob hast, lege dir einen Stehplatz zu und wechsle zwischen Sitzen und Stehen.
- Trainiere richtig: Bist du Kraftsportanfänger? OK, du darfst für einige Wochen die Maschinen nutzen, um dich einzugewöhnen. Aber danach solltest du mit freien Gewichten und leichten Bodyweight-Übungen starten. Vernachlässige nie deine Rumpfmuskulatur.
- Entspanne dich: Zu viel Training stresst auch. Plane unbedingt Regenerations-Tage ein. Lass es dir auch mal gut gehen.
Falls es dich schon erwischt hat oder du vielleicht gerade mitten drin steckst:
- Höre nicht auf jeden Arzt: Hole dir eine zweite oder dritte ärztliche Meinung von Spezialisten. Nutzte das Internet, werde selbst aktiv. Eine Bandscheibenoperation ist in vielen Fällen nicht notwendig!
- Verweigere keine Schmerzmittel: Schmerzen verursachen Schonhaltungen, die die Situation noch verschlimmern. Also spiele nicht den Helden und nimm gerne für eine begrenzte Zeit schmerzstillende Medikamente.
- Bewege dich: Mache leichte Rumpfübungen, aber überlaste dich nicht
- Niemals aufgeben: Der Schmerz wird irgendwann verschwinden
Ich höre immer wieder von Menschen, die sich nach einem Bandscheibenvorfall aufgeben. Sie können ihren alten Job nicht mehr ausüben oder gehen sogar direkt in Frührente.
Hätte ich damals auf den Neurochirurgen gehört, hätte ich heute eine künstliche Bandscheibe. Kraftsport hätte ich aufgegeben. Ich müsste mich ständig schonen und hätte Angst vor einem Rückfall. Wahrscheinlich wäre ich dann auch schon in Frührente und würde jetzt nicht an diesem Fitness-Blog schreiben.
So gesehen hat mich mein Bandscheibenvorfall körperlich und mental stärker gemacht. Ich bin heute fitter als vor zehn Jahren.
Wenn dir also etwas ähnlich schlimmes passieren sollte, lass dich nicht hängen. Stehe wieder auf und trainiere!
Alles Gute
Michael
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